Wir müssen
noch viel interdisziplinärer zusammenarbeiten und dazu müssen
wir letztlich unsere eigene Souveränität stärken, als Architekten
wie als Ingenieure. Nicht ein ängstliches Abschirmen aus einer
Art Minderwertigkeitskomplex heraus oder ein schädliches Sichmit-
aller-Gewalt-aus-dem-Team-herausheben-Wollen fu?hren zu
einem guten Gebäude.
WS: Das ist tatsächlich ein Problem der Ausbildung, auch wenn es
zugleich ein Problem des Berufsstandes insgesamt ist. Man kann
dies nur verbessern, indem man die Ausbildung verändert. Wenn
wir uns die Situation an den Hochschulen ansehen, dann sehen
wir, dass 99 Prozent der Ingenieurfakultäten weltweit keinerlei Kontakt
zu den entsprechenden Architekturfakultäten haben! Ich
möchte hier behaupten, dass Sie ein „shocking event“ erleben
werden, wenn Sie an einer normalen deutschen Universität eine
Umfrage machen würden, in der Sie abfragen, wie viele der Ingenieurprofessoren
die Architektenkollegen - und umgekehrt - namentlich
benennen können.
Die Studierenden, die ja zunächst einmal unbefangen, willig, fleißig
und wißbegierig an die Hochschule kommen, werden in aller Regel
erst durch die akademischen Lehrer in Kategorien- bzw. Disziplinendenken
gezwängt und intellektuell kanalisiert. Nach einem
Schnellstudium, das heute Bachelor oder Master heißt und dessen
Inhalt - dividiert durch die zur Verfügung stehende Zeit – nicht viel
inhaltliche Tiefe erwarten lässt, setzt man diese jungen Menschen
dann an einen Tisch und sagt Ihnen: Ihr wisst ja, dass ihr ab jetzt
zusammen arbeiten müsst – natürlich integral und interdisziplinär.
Mit Verlaub gesagt, das kann nichts werden. Nach dem Studium
folgt ein „learning by doing", das Lernen im Beruf. Wer aber schon
in der Ausbildung dermaßen „verprägt" wurde, kommt typischerweise
aus seinem mit Vorurteilen behafteten Rollendenken nur
noch sehr schwer heraus. Darin liegt die Chance einer inter- und
transdisziplinären Ausbildung, wie sie an der HCU angeboten wird,
weil es wirklich die einzige mir bekannte Hochschule ist, an
der Architekten und Ingenieure so unmittelbar zusammen lernen
(können). Damit verfügt die HCU über ein Ausbildungsprogramm,
das, noch ein wenig inhaltlich weiter ausgeformt, sie dazu bringen
könnte, eine Spezies von Berufsabgängern zu erzeugen, die genau
dieses Verständnis der Werte und Sprachwelten der jeweils anderen
Disziplin besitzt. Damit wäre schon viel erreicht.
VM: Es gäbe da noch eine ganz entscheidende Erweiterung, nämlich
die Stadtplanung. Die Spaltung, die es zwischen Architekten
und Ingenieuren gibt,
Cape Town Stadion at Night
in Kapstadt, Südafrika, 2012
ist ja allein schon tragisch genug. Aber als
noch viel schlimmer empfinde ich, dass das Stadt-Ganze, das zu
gestalten ist und das eben auch seine technische, wie interpretatorische
Seite hat, vollkommen abgespalten wurde. Erst hat man die
Fakultäten „gegabelt", dann hat man die Fakultäten „gespalten"
und dann hat man noch die ganzen Universitäten in der Ausbildung
getrennt. Wer so schizophren ist, wird niemals ein Stadt-
Ganzes nachhaltig gestalten können. Jede Art von Fortschritt setzt
eine Vision voraus.
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