BP: Herr Marg, Sie bauen Stadien weltweit, aktuell in Brasilien.
Gibt es ein Geheimnis Ihres Erfolges?
VM: Wir verfolgen in unseren Stadionprojekten eine alte Tugend,
nämlich die des Baumeisters. Ein Baumeister war immer ein Generalist,
das heißt, er hat das konstruktiv-ingenieuse Wissen in sich
gehabt, wie auch den formal-deutenden, interpretierenden Intellekt.
Das lässt sich gerade bei einer Stadionfigur nicht trennen.
Das Bauen ist heute zudem komplexer geworden. Es kann durch
besondere konstruktive Ansprüche, durch sehr spezielle Funktionen
hoch komplex werden. Ich denke da zum Beispiel an ein Klinikum.
Bei so einer Art von Aufgabe war interdisziplinäres Arbeiten
von jeher gefordert. Heute geraten auch profanere Aufgaben ähnlich
komplex. Ich denke, das Geheimnis des Erfolgs von gmp liegt nicht zuletzt
darin, dass wir uns schon im entwurflichen Ansatz nicht nur für das
Thema interessieren, also dafür, was wir mit unserem Entwurf ausdru?cken
wollen, sondern bereits sehr früh sehr viel Ideenpotenzial
aus Fragen der Realisierbarkeit generieren. Das ist eine Form der
Professionalität und fu?hrt zur Kooperation, zu einem Dialog zwischen
Ingenieur und Architekten.
WS: Es sind nicht so viele Architekten auf dieser Welt, die a priori
diese Kooperation mit den Ingenieuren suchen und die, jetzt einmal
merkantil gesprochen, auch einen Vorteil darin sehen. Wenn
Sie als Architekt oder als Ingenieur international tätig sind, dann ist
das häufig ein Rennen um eine Nasenlänge. Derjenige, der dieseNasenlänge voraus ist, der gewinnt den Wettbewerb. Und diese
Nasenlänge Vorsprung erreichen Sie zum Beispiel, indem Sie
bereit sind, schon in der Anfangsphase der Planung in einem interdisziplinär
organisierten Team mit Anderen genau dieses entscheidende
Quäntchen mehr an Qualität, an Innovation und an
Know-how zu generieren. Was ich heute beobachte ist, dass dieser
mühsam erworbene a-priori-Wille zur Zusammenarbeit mehr
und mehr verloren geht. Das ist auch eine Frage der Ausbildung, in
der man lernt, den Ingenieur erst dann zu rufen, wenn es irgendwie
so weit ist. Dazu muss man sehen, dass es in den vergangenen drei Jahrzehnten
parallel zu den Bemühungen um interdisziplinäres und
integrales Arbeiten viele einflussreiche Tendenzen und Strömungen
in der Architektur gegeben hat, seien es der Postmodernismus,
der Dekonstruktivismus oder andere, die mit Ingenieursüberlegungen
so gut wie nichts zu tun hatten. Da war das Engineering, wenn
ich das so sagen darf, eine Quantité négligeable, die man irgendwann
notwendigerweise gebraucht hat. Das, was Herr Marg in der jahrelangen
Zusammenarbeit mit Herrn
Schlaich beispielsweise bei den Stadien betrieben hat, das sind
eben nicht nur reine Formsetzungen, sondern auch Formfindungen
im Sinne einer Leistungsform. Man hat bei solch großen Dächern
eine Verantwortung auch gegenüber dem Materialverbrauch, dem
Budget, der Machbarkeit, der Bauzeit und so weiter. Das sind
Typologien, die nicht nur bildhaft wirken, sondern die auch sicher
funktionieren und tragstrukturell sinnvoll konstruiert sein müssen.
Dazu ist man weder als Ingenieur noch als Architekt allein in der
Lage. Dazu fehlt - jedem für sich gesehen - einfach das Handwerkszeug
in dieser ausdifferenzierten Welt.
BP: Das, was Sie da aufzeigen Herr Sobek, hat man versucht, in
der universitären Ausbildung hier an der HafenCity Universität als
interdisziplinären Ansatz zu verankern. Wie ließe sich der Praxisbezug
im Studium noch weiter verstärken? Schließlich kann man
dreißig Jahre Berufserfahrung auch in unserer schnelllebigen Zeit
nicht in Tabletten pressen.
WS: Der Erfolg von Herrn Marg und auch von anderen Architekten
und Ingenieuren, die diese Art der Zusammenarbeit pflegen und
international platzieren, spricht dafür, dass es geht. Die Frage ist
vielleicht eher, wie hoch ist der Anteil an unserer gebauten Umwelt,
der diesen Ansprüchen gerecht zu werden vermag, und wie ließe
sich dieser Anteil zum Nutzen aller vergrößern. Da bleibt leider
zunächst festzustellen, dass Ingenieure, die das entsprechende
Anforderungsprofil überhaupt erfüllen, indem Sie auch u?ber ein
Wissen um Arbeitsweisen und um Werte in der Architektur verfügen,
sehr schwer zu finden sind.
VM: Da sind wir auch als Architekten gefordert. Der Architekt muss
den Ingenieur verstehen können, er muss einen Sinn für das Ingeniöse
entwickeln, so wie der Ingenieur den Teil der Deutung, der
Inszenierung, das Kulturschaffende erkennen und respektieren
können sollte. Nur so entsteht Baukultur. Als man noch nicht so
viel darüber schwadroniert hat, war das selbstverständlicher.
Nehmen Sie Balthasar Neumann, der war Brückenbaumeister, der
war Artillerist, der war Festungs-, Dom- und Residenzbaumeister.
Für den gab es diese Zweiteilung nicht und selbstverständlich hat
er konstruktiv genauso gedacht wie deutend.
Wir müssen zugunsten der Qualität zu dieser ideellen Einheit
zurückfinden. Nur das zwangsläufige Thema ist, es auf mehrere Schultern zu verteilen, weil die Dinge heute sehr viel komplizierter
geworden sind – die Anforderungen, die Materialien, die Vorschriften
et cetera. Wir kennen das vom Auto, vom Flugzeug.